Félix Braz au sujet des réformes dans le domaine du régime pénitentiaire

"Wir sollten generell über die Art und Weise, wie strafrechtliche Urteile vollstreckt werden, nachdenken"

Interview: Christoph Bumb

Luxemburger Wort: Herr Braz, laut Regierungsprogramm wollen Sie eine grundlegende Reform des Strafvollzugs auf den Weg bringen. Was ist die generelle Richtung der Reformpolitik?

Félix Braz: Wir sollten generell über die Art und Weise, wie strafrechtliche Urteile vollstreckt werden, nachdenken. Bei Haftstrafen geht es um den Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Tätern, um die persönliche Schuld eines Straftäters gegenüber seinem Opfer und der Gesellschaft. Es geht dabei um eine erzieherische Wirkung, aber auch um die Annahme, dass gesetzliche Strafandrohung abschreckend und demnach präventiv wirkt. Dass Inhaftierung für eine Vielzahl von Straftaten die adäquate Antwort darstellt, steht für mich außer Frage. Die Inhaftierung muss aber auch von soziointegrativen Maßnahmen begleitet sein. Diese sollen in Zukunft verstärkt werden.

Luxemburger Wort: Welche konkreten Alternativen zur Inhaftierung gibt es?

Félix Braz: In vielen Ländern hat sich durchgesetzt, dass sich bei kleineren Straftaten oder gegen Ende der Haft Alternativen zur Inhaftierung als sinnvoll erweisen im Sinne einer besseren Resozialisierung und der Vermeidung von Strafrückfälligkeit. Es geht mir darum, dass wir bereits bestehende Alternativen zum traditionellen Strafvollzug, etwa die elektronischen Armbänder oder aber auch die gemeinnützige Arbeit verstärkt einsetzen. Diese Art der Haftvermeidung bei gleichzeitigem Strafvollzug hat den erheblichen Vorteil, den rechtsgültig Verurteilten in seinem sozialen und professionellen Umfeld zu belassen oder wieder progressiv einzugliedern.

Luxemburger Wort: Welche Erfahrungen wurden mit den angesprochenen "elektronischen Armbändern" bisher gemacht?

Félix Braz: Der im deutschen Sprachgebrauch übliche Begriff "elektronische Fußfessel" entspricht eher der Realität, da die allermeisten Kandidaten sich für diese diskretere Variante entscheiden. Generell kann man sagen, dass rund 30 Gefängnisinsassen im Programm sind. Diese Zahl ist aber großen Schwankungen unterlegen, da in jedem Einzelfall überprüft werden muss, ob der Kandidat die strengen Bedingungen erfüllt. Die Fußfessel ist ein Erfolg, da die große Mehrheit der Kandidaten, die das Programm beginnen, es auch erfolgreich beenden. Auch diese Zahl schwankt, aber es trifft für 95 bis 98 Prozent der Kandidaten zu. Wie in anderen Ländern konnten wir feststellen, dass die elektronische Fußfessel in vielen Fällen einen leichteren Übergang zwischen der festen Haft und der Freiheit darstellt. Es wurde auch festgestellt, dass Kandidaten durch die elektronische Fußfessel einen Halt hatten in dieser schwierigen Übergangsphase, und dadurch besser der "Versuchung" widerstehen konnten, gegen die Auflagen zu verstoßen.

Luxemburger Wort: Sie wollen laut Programm auch eine detaillierte Analyse der Problematik durch neue Formen von Statistiken über den Strafvollzug vornehmen. Gibt es hier schon erste Ergebnisse?

Félix Braz: Nein, diese Zahlen wurden in Luxemburg noch nie aufgestellt. Das geht nicht. Das System ist aber jetzt in der Ausarbeitung. Statistiken im Strafvollzugsbereich können nur verlässliche Informationen liefern und fundierte Rückschlüsse erlauben, wenn sie von der Strafanzeige bei der Polizei bis zur bedingten Haftentlassung nach einheitlichen Kriterien erhoben und erstellt werden. Das setzt natürlich voraus, dass diese Kriterien ausgearbeitet werden müssen und einheitlich sind - von der Polizei über die verschiedenen Gerichte und Gerichtsinstanzen bis hin zum Strafvollzug selbst. Das ist bisher noch nicht der Fall. Dies will ich ändern! Aber da liegt noch sehr viel Arbeit vor uns.

Luxemburger Wort: Warum lässt die Reform des Strafvollzugs, die schon von der Vorgängerregierung bis Ende 2011 angekündigt worden war, so lange auf sich warten?

Félix Braz: Warum die Vorgängerregierung die Reform erst im Januar 2012 deponierte, entzieht sich meiner Kenntnis. Es muss allerdings vieles am Gesetzesvorschlag überarbeitet werden. Die diversen Gutachten waren sehr kritisch und zum Teil widersprüchlich. Zudem hat der Staatsrat nicht weniger als 31 formelle Einsprüche bei den Gesetzestexten meiner Vorgänger eingelegt hat. Das Gesamtpaket -Reform des Strafvollzugs und Reform des Gefängniswesens - steht auf meiner Prioritätenliste. Interne Arbeitsgruppen zwischen Staatsanwaltschaft, Gefängnisverwaltung und Justizministerium sind dabei, die Projekte fertigzustellen. Ich werde dem Regierungsrat spätestens im Frühjahr 2015 abgeänderte Gesetzesprojekte vorlegen.

Luxemburger Wort: Inwiefern unterscheidet sich Ihr Reformansatz grundsätzlich von den Bemühungen Ihrer Vorgänger?

Félix Braz: Ich halte an der grundsätzlichen Ausrichtung einer besseren Resozialisierung der Inhaftierten fest. Die Haftzeit muss so gut wie möglich genutzt werden, um die Strafrückfälligkeit zu verringern. Größere Änderungen wird es im Bereich der gerichtlichen Strafvollstreckung geben, besonders was die zu schaffende Gerichtsbarkeit der Strafvollzugskammer ("chambre de l'application des peines") betrifft. Wichtigster Punkt ist, dass die eigentliche Entscheidungsgewalt über bedingte Entlassung oder Hafturlaub bei der Generalstaatsanwaltschaft bleiben und der Insasse eine Einspruchsmöglichkeit bei der neuen Strafvollzugskammer des Berufungsgerichtes erhalten wird. Ziel ist es, Vorteile des jetzigen Systems zu erhalten und sie mit dem grundsätzlichen Mehrwert des Reformprojektes zu verbinden. Der Häftling soll das Recht erhalten, die Entscheidungen des Generalstaatsanwaltes von einem unabhängigem Gericht prüfen zu lassen. Damit wird auch in diesem Bereich Rechtsstaatlichkeit in jedem Fall gewährleistet.

Luxemburger Wort: Die drei Gefängnisse (Schrassig, Givenich, Sassenheim) sollen eine gemeinsame Direktion und Verwaltung erhalten. Warum?

Félix Braz: Die drei genannten Häuser müssen koordiniert zusammenarbeiten. Sie sind drei Gliedstücke einer Kette, von der Aufnahme bis zur Entlassung. Deshalb sollen alle Fragen betreffend Personal, Haushalt, Material, interne Inspektion, Statistiken und rechtliche Fragen unter die Kompetenz der neuen gemeinsamen Verwaltung fallen. Dadurch erreicht man auch, dass so wenig Zeit wie möglich für Verwaltungsarbeiten verbraucht wird, um so viel wie möglich mit den Insassen arbeiten zu können. Besonders wichtig ist auch, dass die Bereiche Strafvollstreckung ("ab wann ist man für wie lange im Gefängnis?") und Strafvollzug ("wie läuft die Haftstrafe konkret ab?") getrennt werden und verschiedenen Behörden unterstehen. Die Strafvollstreckung soll Sache des Generalstaatsanwaltes und der Strafvollzugskammer (also der Judikative) sein, während der Strafvollzug eine Sache der Verwaltung (also der Exekutive) ist.

Luxemburger Wort: Was haben Sie bei der Reform der Ausbildung und Rekrutierung der Gefängniswärter vor? Welche (neuen) Aufgaben warten auf das Personal?

Félix Braz: Das Gefängnispersonal hat keinen leichten Job, ist aber zunehmend motiviert und verdient Unterstützung. Der "Türschließer" hat ausgedient, wir arbeiten hin auf den "Gefängnisbetreuer". Sie sind es, die den ersten und häufigsten Kontakt mit den Insassen haben. Sie sind die Ansprechpartner, wenn Probleme auftauchen. Diese Veränderung ist im Sinne der aktuellen Mitarbeiter, die bereits auf eigene Initiative diesen Wandel mitgestalten wollen. Die Grundausbildung soll besser werden, die Weiterbildung wird verstärkt unterstützt - im Budget 2015 mit plus 30 Prozent. Bei der Grundausbildung wollen wir von drei auf fünf Jahre Sekundarunterricht gehen. Die Fachausbildung wird dann gezielt Kenntnisse in Psychologie und Menschenrechte vermitteln. Um das besser zu gewährleisten wollen wir wie bisher im militärischen, aber künftig auch im zivilen Bereich rekrutieren können. Ein anderes Beispiel ist die Uniform: Es bedarf natürlich einer einheitlichen Kleidung für Gefängniswärter, um auf den ersten Blick das Personal von den Insassen unterscheiden zu können, aber eine "zivile" Uniform macht es auch und ist angebrachter, weil sie die veränderte Aufgabenstellung darstellt. Die Betroffenen teilen diese Einschätzung.

Luxemburger Wort: Die Rechte der Verteidigung im Strafprozess sollen gestärkt werden. Gleichzeitig sollen die Entgelte für Pflichtverteidiger herabgesetzt werden. Wie passt das zusammen?

Félix Braz: Die Prozesskostenhilfe, die bereits ein hohes Kostenniveau aufweist, wird in den kommenden Jahren noch deutlich ansteigen; dies nicht zuletzt durch die Umsetzung europäischer Richtlinien zum Recht auf Dolmetschen und Übersetzungen sowie dem Recht auf Information in Strafverfahren und dem Recht auf Zugang zu einem Rechtsanwalt. Mein oberstes Ziel wird es jedoch bleiben, für jeden Einzelnen den Zugang zur Justiz zu gewährleisten, unabhängig von seiner finanziellen Lage! Das Ministerium arbeitet in enger Zusammenarbeit mit den Anwaltskammern und der Staatsanwaltschaft an Lösungen, die darauf hinauslaufen, die zu erwartende Kostenexplosion zu begrenzen. Diese Begrenzung kann aber nur unter dem ausdrücklichen Vorbehalt eines nach wie vor freien Zugangs des Einzelnen zur Justiz geschehen. So werden etwa Vorschläge wie Pauschalisierung nach gerichtlicher Domäne (Zivil-, Straf- oder Asylrecht) genauso tabulos angesprochen wie eine eventuelle Herabsetzung der aktuell verrechneten Stundensätze der Anwälte.

Luxemburger Wort: Gibt es in Zeiten knapper Staatskassen eigentlich genügend Mittel zur Umsetzung Ihrer Reformen?

Félix Braz: Dank unserer gezielten Sparmaßnahmen im Zukunftspaket haben wir Spielraum für zusätzliche Anstrengungen erhalten. So wurde im Bereich der sozialen und beruflichen Reintegration von Gefangenen eine Verdopplung der Kredite gegenüber 2013 vorgenommen. Ich möchte aber auch anmerken, dass die Maßnahmen auf Vorschlag der Gefängnisverwaltung erreicht wurden, und zwar durch eine Straffung der allgemeinen administrativen und technischen Abläufe im Gefängnis.

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