Bilanz von Félix Braz zur Regierungsarbeit der vergangenen 12 Monate

"Mit gutem Gewissen vor die Wähler"

Interview: Bérengère Beffort

Luxemburger Wort: Herr Justizminister, wie ist es ein Jahr nach der Regierungsbildung um die Demokratie des Landes bestellt? Als grüner Spitzenkandidat setzten Sie sich besonders für das Thema ein.

Félix Braz: Besser, wir haben jetzt eine viel lebendigere Debatte über die res publica (öffentliche Sache) als zuvor. Als Regierung haben wir die Herausforderung unverzüglich angepackt, wo unsere Vorgänger dazu neigten, Probleme zu ignorieren. Diese Koalition hat nach dem Amtseintritt eine Reform des Geheimdiensts vorgelegt, wir haben mit dem Deontologiekodex klare Regeln für die Minister ausgearbeitet, und wir haben die Prozedur für ein Referendum initiiert, mit der wir die Bürger in die Verfassungsreform mit einbinden. Eine wichtige gesellschaftliche Reform ist dann die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und das neue Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch. Innerhalb von ein paar Monaten haben wir das gemacht, wovon andere jahrelang nur diskutiert haben.

Luxemburger Wort: Wie schwer war denn das erste Jahr im Amt?

Félix Braz: Es wäre schwerer, wenn wir keinen Mut für Reformen hätten. Aber wir übernehmen Verantwortung, wir packen die Herausforderungen an. Einige Vorschläge mögen nicht jedem gefallen, aber ich denke, dass unsere Bemühungen absolut im InteresSe des Landes sind. Wir wollen das Land voranbringen und das im Rahmen des Sozialdialogs ...

Luxemburger Wort: Beim Aufstellen des Haushaltsplans wirkte der Sozialdialog fürs erste doch verzwickt?

Félix Braz: Bevor diese Regierung ins Amt trat, war der Sozialdialog tot. Es gab keinen Dialog mehr. Wir wollten diesen Austausch wieder herstellen, und das braucht Zeit. Nun waren die ersten Gespräche sicherlich nicht einfach, nicht zuletzt weil diese Koalition innerhalb von zehn Monaten drei Haushaltspläne bewältigen musste. Es gab zunächst ein Übergangsbudget, dann kam der Etatentwurf für 2014 und schließlich die neue Vorlage für 2015. Wir haben Zahlen und Vorschläge am laufenden Band liefern müssen. Die Zeit war zuerst zu knapp bemessen, um weit ausholende Diskussionen zu führen.

Luxemburger Wort: In den ersten zwölf Monaten wehte der Regierung ein raver Wind von Opposition entgegen - nicht nur von parlamentarischer Seite. Im jüngsten Politmonitor sagt nur noch einer von drei Befragten, Vertrauen in die Regierung zu haben ...

Félix Braz: Das heißt aber auch, dass uns ein Drittel der Bürger offen unterstützt, und das obschon die Zeiten und notwendigen Reformen nicht einfach sind. Viele Beobachter und Medienvertreter tun so, als ob das nicht zählen würde ... Aber es bleibt Überzeugungsarbeit zu leisten, keine Frage.

Luxemburger Wort: Die Sympathie- und Kompetenzwerte waren beim Amtsantritt aber deutlich höher ...

Félix Braz: Zu glauben, dass man stets jeden auf seiner Seite behalten kann, wäre naiv. Sollten wir nichts tun? Das "laisser-faire" weiterzuführen, war für uns keine Option. Die Regierung ist angetreten, um Reformen durchzuführen, und wir wollen sie zusammen mit den Bürgern und den Sozialpartnern angehen. Die Diskussionen sind noch nicht abgeschlossen. Letztendlich zählt das gesamte Bild am Ende der Legislaturperiode. Ich bin auch zuversichtlich, dass wir in vier Jahren mit gutem Gewissen vor die Wähler treten können. Jene, die auf weniger Reformeifer setzen und glauben, mit einer augenblicklichen Unzufriedenheit die nächsten Wahlen gewinnen zu können, irren sich gewaltig.

Luxemburger Wort: Reformen bedürfen Akzeptanz. Zurzeit ist das in weiten Teilen der Bevölkerung nicht der Fall. Wie erklären Sie sich diese Skepsis?

Félix Braz: Dieser Darstellung kann ich so nicht zustimmen. Ein Beispiel: Das angedachte Referendum trifft auf eine breite Zustimmung. Jene Stimmen, die vor einem konsultativen Referendum gewarnt haben, lagen falsch. Das Prinzip eines demokratischen Akts, der die Wählerinnen und Wähler direkt befragt, wird massiv unterstützt. Es ist also nicht so, dass unsere Maßnahmen und Vorschläge völlig abgelehnt werden. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass es kritische Stimmen gibt, und dass in manchen Punkten noch Klärungsbedarf besteht. Demnach haben wir uns auch beim "Zukunftspaket" mit den Sozialpartnern besprochen und geeinigt.

Luxemburger Wort: Wie ist es mit den persönlichen Ergebnissen in den Umfragen? Bei den Sympathie- und Kompetenzwerten haben Sie einen leichten Rückgang verzeichnet.

Félix Braz: Es geht nicht so sehr um die persönliche Bewertung. Was zählt ist das Amt, das man verantwortungsvoll ausüben muss. Ich achte nicht so darauf, ob die Umfragen nach oben oder nach unten tendieren. mi Ein Umfrage -Plus wäre aber angenehmer? Man sollte bescheiden bleiben. Es geht vorrangig um die Funktion und die Verantwortung.

Luxemburger Wort: Apropos Verantwortung. Inwiefern ist es für einen grünen Politiker zu verantworten, dass die Akzisen auf den Tabakwaren herabgesetzt werden - um eine TVA-Erhöhung abzufedern - angesichts der gesundheitspolitischen Bestrebungen?

Félix Braz: Es war eine schwierige Arbitrage. Ich möchte allerdings daran erinnern, dass die Preise für Tabakwaren leicht ansteigen werden. Sie werden in zwei Phasen angehoben und keinesfalls fallen. Nun kann ich nachvollziehen, dass es kritische Bemerkungen gab, aber wir sind gewillt die Übergangsphase so kurz wie möglich zu halten.

Luxemburger Wort:  Und das wäre bis wann?

Félix Braz:  Eben so kurz wie möglich. Übrigens gab es schon früher Eingriffe bei den Akzisen...

Luxemburger Wort: Wollte diese Regierung nicht alles anders machen?

Félix Braz: Das habe ich nie behauptet. Ich habe nie gesagt, dass wir "alles" anders machen wollen. Wir wollen das ändern, was im Land nicht gut läuft. Wir schauen nicht weg. Die Probleme werden jetzt angepackt, und das war vorher nicht der Fall.

Luxemburger Wort: Sie sprechen aber von Übergangsphasen. Worauf ist das zurückzuführen? Etwa auf die finanzpolitische Situation?

Félix Braz: Die finanzpolitische Situation ist nicht schwierig, weil es dem Land oder der Wirtschaft per se schlecht geht, obwohl die Lage in der EU nicht rosig ist und "Lux Leaks" auch Nachwirkungen haben wird. Das Problem ist, dass ab 2015 rund 800 Millionen Euro Einnahmen pro Jahr beim elektronischen Handel versiegen. Das war seit 2008 gewusst, 'und es wurde von den vorigen Regierungen nichts unternommen. Fast sechs Prozent unserer Einnahmen werden auf einmal wegbrechen. Wir wollen das jedenfalls nicht über zusätzliche Schulden ausgleichen. Das bedingt eine Reihe von Maßnahmen, die wir jetzt im Zukunftspaket und im Staatshaushalt angehen.

Luxemburger Wort: Ist der "Zukunftspak" Ihres Erachtens als Vertreter von Déi Gréng sozial ausgeglichen?

Félix Braz: Ich glaube, dass wir ein gutes Paket geschnürt haben. Es gibt keine unsozialen Maßnahmen, wohl aber Anpassungen. Die Einkommensimmunisierung in Höhe eines Mindestlohns bei der vorübergehenden "0,5 -Prozent" -Steuer und die sich daraus ergebende Progressivität sind sozial gerechtfertigt. Um wiederum gesunde Staatsfinanzen herzustellen, muss man an vielen Stellschrauben drehen, also auch auf der Ausgabenseite und bei bestehenden Transfers. Deshalb haben wir auch mit den Gewerkschaften diskutiert.

Luxemburger Wort: Was möchten Sie den Leuten sagen, die verunsichert sind und das Gefühl haben, sie müssten den Großteil der Lasten stemmen?

Félix Braz: Alle leisten einen Beitrag im "Zukunftspak": Die Arbeitnehmer und die Beamten, die Betriebe und die Privathaushalte, die Familien und die Junggesellen. Das Paket ist ausgeglichen und jeder ist daran beteiligt. Ich möchte auch hervorheben, dass es ein Zukunftspaket ist und kein "Sparpaket". Die staatlichen Ausgaben werden kommendes Jahr um vier Prozent steigen. Die Investitionen wachsen jedes Jahr bis zum Ende der Legislaturperiode um jeweils zehn Prozent. Deswegen trifft die Bezeichnung "Zukunftspak" auch zu. Wir wollen das Land besser aufstellen. Würden wir die Investitionen zurückschrauben, könnte man das Paket als Sparpaket bezeichnen. Das ist hier nicht der Fall.

Luxemburger Wort: Inwiefern finden sich die drei Koalitionspartner in den Haushaltsplänen wieder? Hat sich einer verbiegen müssen?

Félix Braz: Nein, diese Koalition hat ihre Absichten und Vorstellungen vor einem Jahr_im Koalitionsabkommen gefestigt. Seitdem haben wir sehr gut zusammengearbeitet. Das Vertrauensverhältnis ist intakt, die Stimmung ist ausgezeichnet. Wenn es in einer Koalition kein Vertrauen gibt, dann bleiben auch mutige Entscheidungen aus ...

Luxemburger Wort: Wie sind denn die vielen Kornmunikationspannen zu erklären?

Félix Braz: Kommunikation ist wichtig, weil Reformpläne gut vermittelt werden müssen. Dabei sollte man dann kommunizieren, wenn viele Fragen beantworten werden können. Ich denke das war überwiegend der Fall. Nun hat es sicherlich die eine oder andere "Panne" gegeben, das will ich nicht bestreiten. Letztlich geht es aber mehr um die Inhalte und nicht so sehr um die Kommunikation.

Luxemburger Wort: Wollen Sie damit sagen, dass künftig weniger kommuniziert wird?

Félix Braz: Es wird nicht weniger kommuniziert, aber meines Erachtens ist es wichtig, dass man erst vors Mikrofon tritt, wenn man entsprechende Antworten liefern kann. Ich wehre mich auch gegen die Darstellung, wir hätten falsch oder zu schnell kommuniziert. Im Fall von "Luxleaks" haben wir sofort und sofort richtig reagiert, weil wir gut vorbereitet waren. Wir haben erklärt, dass man erstens nicht einseitig mit dem Finger auf Luxemburg zeigen kann und zweitens, dass wir im internationalen Rahmen um mehr Transparenz bemüht sind. Das war und bleibt das Richtige.

Luxemburger Wort: Wie wollen Sie das beratende Referendum im Juni 2015 angehen?

Félix Braz: Es sollte genug Zeit vorgesehen werden, eine kurze Kampagne reicht nicht aus. Die Wählerinnen und Wähler sollen informiert werden und dann wird debattiert. Die Reform braucht einen Dialog in der ganzen Gesellschaft - nicht nur zwischen der Regierung und den Bürgern. Dabei soll die gesamte Verfassungsreform und nicht nur die vier spezifischen Fragen thematisiert werden. Und wie auch immer die Antworten ausfallen, wir werden sie respektieren. Das sollte für jeden gelten.  

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