Interview von Félix Braz im Luxemburger Wort

"Ich habe mir Zurückhaltung auferlegt"

Interview: Pol Schock & Annette Welsch (Luxemburger Wort)

Luxemburger Wort: Herr Braz, sagt Ihnen der Name „Felix der Graue" etwas? 

Félix Braz: Nein. 

Luxemburger Wort: Unseren Informationen zufolge werden Sie in Parteikreisen so genannt. Können Sie sich erklären warum? 

Félix Braz: Nein. Ich habe das noch nie gehört. Das scheint mir eher ein Insiderwitz zu sein. 

Luxemburger Wort: Könnte es vielleicht daran liegen, dass Ihre Gesetze die grüne Handschrift vermissen lassen? Vorratsdatenspeicherung, Anti-Terror-Gesetz, Vermummungsverbot - da sind Sie aber immer hart an den Grenzen der Grundrechtseinschränkungen. 

Félix Braz: Ich sehe das nicht so, aber fangen wir mit der Vorratsdatenspeicherung an: Wir haben 2014 als erstes EU-Land auf das erste Urteil des Europäischen Gerichtshofs reagiert und ein Gesetz eingebracht. Unter Luxemburger Ratsvorsitz 2015 habe ich das Thema erstmals auf die politische europäische Agenda gesetzt. Für mich war klar: Nationale Lösungen machen hier nicht viel Sinn, sie müssen neu europäisch eingerahmt werden im strikten Respekt der beiden EuGH-Entscheidungen.

Luxemburger Wort: Europäische Lösung für Vorratsdatenspeicherung - wie sieht es beim Anti-Terror-Gesetz aus? 

Félix Braz: Das Anti-Terror-Gesetz ist wichtig, weil es uns die adäquaten Mittel gibt, um strafrechtlich wirksam im Bereich des Terrorismus und der Staatssicherheit vorzugehen. Es ist kein Überwachungsgesetz, sondern dient der Verfolgung einer Straftat.

Luxemburger Wort: Wie kann der Staat eine Strafe verfolgen, die noch nicht begangen wurde? 

Félix Braz: Seit 2015 gilt in Luxemburg die Vorbereitung eines terroristischen Anschlags als Straftat, eine Konsequenz der Umsetzung der UNO-Resolution Foreign Fighters von 2014. Die Justizautoritäten greifen ein, wenn ein begründeter Verdacht auf die Vorbereitung eines terroristischen Anschlags besteht. 

Luxemburger Wort: Das klingt aber so, als würde man den Begriff des Straftatbestands so weit ausdehnen, dass er in den Bereich der Prävention hineinreicht. 

Félix Braz: Die Vorbereitung ist ein eigenständiger Straftatbestand. Ja, das geht über klassisches Strafrecht hinaus, das sonst nur begangene oder versuchte Straftaten kennt. Im Bereich des Terrorismus gilt jedoch die geplante Straftat bereits als Straftat - ein kritisches Novum.

Luxemburger Wort: Aber genau diesen präventiven Charakter beanstanden doch viele grüne Kritiker ... 

Félix Braz: Ich habe diese Kritik noch nie von Grünen gehört.

Luxemburger Wort: Dann bringen wir die Kritik eben auf diesem Weg zu Ihnen: Diese Menschen hegen Bedenken, das Gesetz gehe zu weit und könne auch für andere Zwecke missbraucht werden. 

Félix Braz: Das ist eben nicht möglich. Das Gesetz ist sehr spezifisch und restriktiv geschrieben. Wir haben dabei alle Einwände von Datenschutzkommission, Menschenrechtskommission und Staatsrat umgesetzt. Es bezieht sich ausdrücklich nur auf terroristische Fälle. 

Luxemburger Wort: Dann fragen wir anders herum: Ab wann sprechen sie von Terrorismus? 

Félix Braz: Terroristen planen aus ideologischen Gründen Menschen umzubringen, oft viele. Das ist keine spontane Handlung aus dem Affekt heraus. Soll der Staat warten bis die Tat vollbracht ist, bevor er dagegen vorgehen kann, obwohl er es im Voraus weiß? Ich glaube das nicht, der Rechtsstaat muss aktiv werden können. Und noch einmal: Es geht um Strafverfolgung, nicht um Überwachung. 

Luxemburger Wort: Der Felix Braz von 2013, der als großer Staatsrechtler aufgetreten ist, würde das Anti-Terror Gesetz also auch mitstimmen? 

Félix Braz: Ja. Dieses Gesetz würde ich genau so stimmen, weil allen Bedenken Rechnung getragen wurde. Es ist genau definiert und kann nicht für andere Zwecke missbraucht werden. An den sechs anfänglich vorgesehenen Maßnahmen hat sich nichts geändert. Das Gesetz trägt ganz klar eine grüne Handschrift. Die Leute, die hier noch wie auch immer geartete Überwachungsmaßnahmen sehen, liegen falsch. 

Luxemburger Wort: Und das Vermummungsgesetz trägt auch eine grüne Handschrift? 

Félix Braz: Es ist ein Regierungstext, der durch eine Kongress-Resolution der Grünen deutlich bestätigt wurde. Die Debatte findet nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch innerhalb der Parteien statt, auch in der grünen Partei. Eine Partei hat ihre Meinung allerdings geändert, die CSV. War sie noch vor den Wahlen, wie mein Vorgänger Franvois Biltgen, der Meinung, dass eine Lösung im aktuellen rechtlichen Rahmen der Gemeinden ausreicht so ging sie nach den Wahlen auf ADR-Kurs. Es war Laurent Mosar der die Frage dann wieder aufwarf und sie mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen begründete. Integrationsministerin Corinne Cahen hat aber wiederholt bestätigt, dass bei den Menschen, die Luxemburg aufgenommen hat, keine Person dabei war, die ihr Gesicht vermummt hat. Wie François Biltgen davor, war die Regierung der Meinung, keine neue rechtliche Grundlage zu brauchen. 

Luxemburger Wort: Sie hätten sich auch national gegen ein Vermummungsgesetz aussprechen können?

Félix Braz: Das war politisch keine Option. Wir kennen das allgemeine Vermummungsverbot in Luxemburg seit über 100 Jahren auf kommunaler Ebene, 72 Prozent der Menschen leben heute in solch einer Gemeinde. Es hat demnach in vielen Gemeinden eine sehr lange Tradition und es wäre ein Bruch damit.

Luxemburger Wort: Das klingt als hätten Sie sonst keine Option gehabt? 

Félix Braz: Doch, die ADR-CSV-Variante eines vollständigen Verbots im öffentlichen Raum nach französischem Muster, was für unser Land nicht die richtige Antwort ist. Die Regierung setzt im Gegensatz dazu auf ein Gleichgewicht aller verfassungsmäßigen Grundrechte. Wir machen deswegen einen klaren Unterschied zwischen dem öffentlichrechtlichen Raum und dem öffentlichen Raum. ADR-CSV haben die Regierung deutlich unter Druck gesetzt - aber wir haben uns nicht treiben lassen.

Luxemburger Wort: Das Verbot ist also so restriktiv wie nötig und so liberal wie möglich?

Félix Braz: Ja, das kann man so resümieren. Es ist der Versuch, einen Konsens zu finden zwischen der Analyse des Staatsrats, des Europäischen Gerichtshofs, der kommunalen Tradition sowie unserer eigenen Interpretation. 

Luxemburger Wort: Sie wurden 2013 als neuer Mann der Grünen und als Erneuerung inszeniert, Sie waren am Anfang noch das grüne Gesicht der Dreierkoalition. Mittlerweile tauchen Sie eher selten in der Öffentlichkeit auf. Distanzieren Sie sich von Ihren Koalitionspartnern oder sind Sie verdrängt worden? 

Félix Braz: Ich habe zwei Rollen. Als Justizminister habe ich bewusst die Wahl getroffen, mir in der Öffentlichkeit Zurückhaltung aufzuerlegen. Ich sehe es als meine vornehmliehe Aufgabe, durch mein eigenes Benehmen und Auftreten zur Serenität beizutragen, denn ich stehe als Minister der dritten Macht im Lande vor. Ich muss auch nicht auf allen Fotos sein, zu allem mein Pfefferkorn beitragen und jeden Kommentar kommentieren. Meine Rolle als Grüner: Wir sind eine kleine Partei und die kleinste Regierungspartei mit vier Ministern. Jeder - auch die Parteipräsidenten und die Fraktion - soll so gut wie möglich sichtbar sein und hat seine Rolle zu spielen. Ich habe meine Führungsrolle nie so verstanden, mich vorzudrängen und die Decke an mich zu reißen.

Luxemburger Wort: Dann laufen Sie aber Gefahr, dass ein anderer das tut? 

Félix Braz: Diese Frage habe ich mir bis heute nicht gestellt. Bis jetzt habe ich an meinen Dossiers gearbeitet. Im Wahlkampf muss die Partei überzeugende Antworten für die Zukunft liefern. Wir haben keinen Konkurrenzkampf bei den Grünen. 

Luxemburger Wort: Das wollen Sie uns jetzt nicht wirklich verkaufen ... 

Félix Braz: Aber natürlich. 

Luxemburger Wort: Die Grünen sind also eine unpolitische Konsenspartei? 

Félix Braz: Nein, im Gegenteil. Wir sind eine politisch geeinte Partei, und das ist eine glückliche Lage. Wir wollen gestärkt mit acht Sitzen aus den nächsten Wahlen herausgehen - drei Sitze im Süden und im Zentrum sind möglich und realistisch. 

Luxemburger Wort: Man hat dennoch den Eindruck, dass nicht viel von Ihnen geliefert wurde und nun zum Schluss hin, muss alles fix gehen. Riskieren Sie nicht, dass das Vermummungsgesetz beispielsweise nun Wahlkampfthema wird? 

Félix Braz: Der Eindruck trügt, in den vergangenen vier Jahren wurden sehr viele Gesetze und Verordnungen eingebracht, es kann nicht langsam gearbeitet worden sein. Es traten unter mir schon 83 Texte in Kraft, 70 davon habe ich selber eingebracht, 28 sind noch unterwegs, die ich deponiert habe. Es werden noch weitere dazukommen. Die Notariats- oder die Jugendschutzreform, beispielsweise. Das sind rund doppelt so viele wie in der gesamten vergangenen Legislaturperiode.  Man kann nicht doppelt so viele Projekte in die Pipeline schicken und dann erwarten, dass sie auch noch doppelt so schnell durchgehen. Fakt ist: Es ist soviel gearbeitet worden wie noch nie. Und Fakt ist auch: Wenig oder viel Medienpräsenz heißt nicht, dass man auch wenig oder viel arbeitet. 

Luxemburger Wort: Sie haben ein Whistleblower-Gesetz angekündigt - kommt da noch etwas? 

Félix Braz: Luxemburg hat als eines der ganz wenigen Länder ein Gesetz, das Whistleblower schützt und ihnen ein Statut verleiht, das auch der Menschengerichtshof in Straßburg anerkennt. Im Lux Leaks ... 

Luxemburger Wort: ... bei dem um ein Haar ein Journalist verurteilt worden wäre ... 

Félix Braz: ... wurde das Statut auch erstmalig gerichtlich anerkannt. Unser Gesetz muss aber verbessert werden, etwa nach irischem Modell. Ich habe aber die EU-Kommission ermutigt, eine Direktive zu machen. Die Begeisterung in den andern Ländern ist mittelmäßig, aber es wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt. 

Luxemburger Wort: Also im Klartext. Es wird kein Whistleblower-Gesetz geben? 

Félix Braz: Nein, vor den Wahlen wohl eher nicht, obwohl die Arbeiten fortgeschritten sind. Ich werde die EU-Richtlinie abwarten und dann analysieren, ob wir unser bestehendes Gesetz anpassen müssen. Ich gehe jetzt schon davon aus, will aber dem Text der Kommission nicht vorgreifen. Aber fragen Sie doch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, wann die europäische Richtlinie kommt. 

Luxemburger Wort: Sie haben 2013 die Justiz gewählt, möchten Sie weiter Justizminister bleiben? 

Félix Braz: Wir haben als grüne Partei zwei Kernthemen und darauf gedrungen, für diese beiden Ressorts Verantwortung übernehmen zu können: Das eine sind die ökologischen Aspekte, das andere die gesellschaftspolitische Entwicklung, die stark durch die Gesetze geprägt ist, die unter das Justizressort fallen. Ich erinnere an die Ehe für alle mitsamt Adoptionsrecht, ... 

Luxemburger Wort: Die war aber noch von Schwarz-Rot initiiert, durch den Ausschuss schon abgesegnet und sollte ohnehin im Herbst 2013 verabschiedet werden. 

Félix Braz: ... ja, ich bin trotzdem sehr froh darüber ... die Reform der Schwangerschaftsunterbrechung, das Nationalitätengesetz, das Gesetz gegen Prostitution und Menschenhandel, das LGBT-Gesetz, das eine Änderung des Geschlechts innerhalb der ersten Lebensjahre ermöglicht, die Istanbulkonvention zum Kampf gegen Gewalt gegen Frauen, das Scheidungsrecht, die Reform des Strafvollzugs - viele für Grüne sehr wichtige Themen. Und ja: Bei den Neujahrsempfängen habe ich betont, dass es keine Abschiedstournee ist. 

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